Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Hamburg in der vorletzten Woche seine Zustimmung zur Umsetzung der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) gegeben.
Was war die MSRL noch? Sie ist eine Schwester von der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) und soll unsere Meere schützen: “Die Europäische Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) ist am 15. Juli 2008 in Kraft getreten (MSRL 2008/56/EG). Sie fordert die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf Maßnahmen zu ergreifen, um bis 2020 einen guten Zustand der Meeresumwelt zu erhalten oder zu erreichen. Der gute Zustand muss auf Dauer gewährleistet und eine künftige Verschlechterung vermieden werden.
Die MSRL gibt erstmals einen einheitlichen Ordnungsrahmen für den Umweltzustand der Meeresgewässer für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor. Sie soll nach dem sogenannten Integrationsprinzip die Einbeziehung von Umweltanliegen in alle maßgeblichen Politikbereiche fördern. Gleichzeitig stellt die MSRL die Umweltsäule der Europäischen Integrierten Meerespolitik dar.” ist auf der Hamburg.de-Seite zum Stichwort MSRL nachlesbar. In Analogie zu den Flüssen und der WRRL müssen sich in Deutschland sich die an ein Meer grenzenden Bundesländer Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein als Nordsee-Anrainer sowie Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein als Ostsee-Anrainer über ein Maßnahmepaket zum Schutz und vor allem zur Verbesserung des Zustands dieser beiden Meere verständigen.
Nicht zu finden ist in den Hamburger Ausführungen jedoch, welche Maßnahmen konkret vereinbart wurden. Auf der offiziellen Seite der Bundesregierung finden wir lediglich die Entwurfsunterlagen, die im Rahmen eines öffentlichen Beteiligungsverfahrens eingestellt werden mussten. Und Gutes ist vermutlich nicht zu erwarten. Im November 2015 veröffentlichten der BUND und der NABU eine gemeinsame Pressemitteilung, in der sie die Haltung Hamburgs zu den Maßnahmen sehr kritisch unter die Lupe nahmen.
Also gucken wir uns den Verordnungstext der MSRL an. In Artikel 1 Abs. 2 MSRL wird beschrieben, welche strategischen Ziele durch Maßnahmen erreicht werden sollen:
“Zu diesem Zweck werden Meeresstrategien entwickelt und umgesetzt, um
a) die Meeresumwelt zu schützen und zu erhalten, ihre Verschlechterung zu verhindern oder, wo durchführbar, Meeresökosysteme in Gebieten, in denen sie geschädigt wurden, wiederherzustellen;
b) Einträge in die Meeresumwelt zu verhindern und zu verringern, um die Verschmutzung im Sinne von Artikel 3 Absatz 8 schrittweise zu beseitigen, um sicherzustellen, dass es keine signifikanten Auswirkungen auf oder Gefahren für die Artenvielfalt des Meeres, die Meeresökosysteme, die menschliche Gesundheit und die rechtmäßige Nutzung des Meeres gibt.”
In Artikel 3 (Begriffsbestimmungen) finden wir unter Ziffer 1: „Meeresgewässer“ sind
a) die Gewässer, der Meeresgrund und der Meeresuntergrund…” (weiter geht es mit der Beschreibung der nationalen Gebietseingrenzung).
In Ziffer 3 wird der Begriff “Umweltzustand” beschrieben: “…ist der Gesamtzustand der Umwelt in Meeresgewässern unter Berücksichtigung von Struktur, Funktion und Prozessen der einzelnen Meeresökosysteme und der natürlichen physiografischen, geografischen, biologischen, geologischen und klimatischen Faktoren sowie der physikalischen, akustischen und chemischen Bedingungen, einschließlich der Bedingungen, die als Folge menschlichen Handelns in dem betreffenden Gebiet und außerhalb davon entstehen.”
Und uns interessiert auch noch der Begriff “Verschmutzung”: “…ist die durch menschliches Handeln direkt oder indirekt bewirkte Zuführung von Stoffen oder Energie – einschließlich vom Menschen verursachter Unterwassergeräusche -in die Meeresumwelt,…”
Diese drei Aspekte beziehen wir auf die derzeitige und vor allem dauerhaft geplante Verklappung des Hamburger Hafenschlicks einschließlich der Hafenbecken bei Tonne E3. Wir gehen davon aus, dass diese Maßnahme gegen Artikel 1 Abs. 2 MSRL verstößt, weil der Eintrag des Schlicks eine Verschlechterung der Meeresumwelt ist und diese Einträge nur durch menschliches Handeln erfolgen, statt sie zu verhindern. Neben dem Gewässer Nordsee selbst sind auch deren Meeresgrund und -untergrund von der Verklappung betroffen: nachweislich hat sich über die vielen Jahre eine Aufhöhung durch Sedimente im Bereich der Verklappungsstelle ergeben (Jahresbericht 2013 Tonne E3, Seite 4). Verschmutzt wird die Meeresumwelt durch direkte Zuführung von Schadstoffen durch besagtes “menschliches Handeln”. Schließlich werden die Sedimente dort auf Veranlassung der HPA verklappt und sammeln sich dort nicht durch natürliche Strömungsprozesse an. Die Verklappung ist eine negative Auswirkung auf den Umweltzustand der Nordsee und verstößt somit eindeutig gegen die MSRL.
Trotzdem finden wir im Entwurf zu den Maßnahmen MSRL-Umsetzung wir keinerlei Hinweis auf die Vermeidung dieser Meeresgewässerverschmutzung durch Verklappung von Baggergut aus dem Hamburger Hafen. Schadstoffeinträge kann es laut Entwurf der Bundesländer anscheinend nur durch Landwirtschaft und Industrie geben, die durch die Flüsse in die Nordsee transportiert werden, oder durch die Schifffahrt in Form von Schweröl und Abgas. Der Meeresboden scheint ausschließlich durch die Fischerei geschädigt zu werden und in den Wattgebieten vielleicht noch durch Sportschifffahrt oder Watt-Spaziergänger. Für diese Bereiche hat man bereits diverse Vorschriften und Appelle vorgesehen. Verklappt werden kann dagegen weiter – ganzjährig, ohne Mengenbegrenzung und Schadstoffbegrenzung. Das ist mehr als merkwürdig und riecht, wie wir es nun in Sachen WRRL und Elb- und Weservertiefung bereits mehrfach erleben durften, nach einer Umgehung der Europäischen Verordnungen zum Gewässerschutz.
Wie ignorant kann die hiesige Politik nur sein? Reichen die gerichtlich verordneten Klatschen zur WRRL bei den Vertiefungsplänen für Elbe und Weser nicht aus? Müssen erneut die Umweltverbände eine Lanze für das europäische Recht brechen und diesem durch ein Gerichtsverfahren Geltung verschaffen?
Die Worte des grünen Hamburger Umweltsenators Herrn Jens Kerstan aus der Pressemitteilung klingen trotzdem begeistert: „Mit dem heutigen Senatsbeschluss machen wir uns auf den Weg, die Wasserqualität in Nord- und Ostsee zu verbessern. Die norddeutschen Küstenländer und der Bund haben einen Fahrplan und ein Paket von Maßnahmen verabredet. Diese können jetzt angeschoben werden. Für die Ökosysteme unserer Meere und für den Freizeitwert an den Küsten ist das eine gute Nachricht.“
Diese seine Worte stehen ja in Sachen unbegrenzte Verklappung bei Tonne 3 vor Helgoland auch so überhaupt nicht im Widerspruch zu denen seines grünen Amtskollegen aus Schleswig-Holstein, Herrn Robert Habeck aus dem Jahr 2012, der ja in Kürze dieser Verklappungsregelung zustimmen wird: “Ich bin froh, dass wir mit der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) ein EU-Gesetz haben, das uns nicht nur diese bittere Diagnose abfordert. Mit hoher Verbindlichkeit zwingt es alle europäischen Meeresanrainer zu großem Handlungstempo, denn schon in acht Jahren sollen unsere Meere wieder gesund sein.
”
Es würde uns nicht wundern, wenn wir von den beiden grünen Umweltministern in Kürze eine Pressemitteilung zu lesen bekommen: “Verklappung Hafenschlick vor Helgoland aus Bad Hamburgs Hafen ist gesundheitsfördernder Fango für die deutsche Nordsee“