Beim Lesen eines Beipackzettels zu einem ärztlich verordneten Medikament beschleicht den Patienten regelmäßig ein ungutes Gefühl. Der kilometerlange kleinbedruckte Zettel hinterlässt einen „versteh ich nicht“-Eindruck bis zu einem „will ich alles lieber gar nicht wissen“. So ist man froh, wenn man sich auf den Arzt seines Vertrauens verlassen kann.
Heute, am späten Nachmittag, ist die zweite Ergänzung zum Börsenprospekt von Hapag-Lloyd veröffentlicht worden. Begleitet von einem NDR-Radiobericht zur Senkung der Preisspanne auf nunmehr 20 bis 22 Euro, lesen wir den Börsenprospekt und versuchen zu verstehen. Schnell werden wir an oben beschriebenen Beipackzettel erinnert.
Aber wir finden die im Radio und nun auch in Zeitungsmeldungen berichteten Inhalte grundsätzlich wieder. Neues aber auch in Hülle und Fülle. So auf Seite Pdf-11:„Im Rahmen eines Vertrags über ein unbesichertes revolvierendes Darlehen in Höhe von bis zu US$ 125.000.000, mit Hapag-Lloyd AG als Darlehensnehmerin und u. a. mit Deutsche Bank Luxembourg S.A., Goldman Sachs Bank USA und Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG als Darlehensgeber, haben sich die Darlehensgeber verpflichtet, der Hapag-Lloyd AG eine unbesicherte revolvierende Darlehensfazilität im Gesamtbetrag von bis zu US$ 125.000.000 für allgemeine Unternehmenszwecke, mit Ausnahme der Übernahme von Gesellschaften oder Unternehmen, bereitzustellen. Dieser Vertrag ist Mitte Oktober 2015 unterzeichnet worden. Die Unbesicherte Revolvierende Darlehensfazilität steht nicht zur Ziehung zur Verfügung und wird am 1. Juli 2016 automatisch aufgehoben, wenn der Börsengang der Hapag-Lloyd nicht spätestens bis zum 30. Juni 2016 stattgefunden hat.“ Oh, was ist denn das für ein Darlehnsvertrag der drei für den Börsengang führenden Konsortialbanken mit dem Börsenneuling über 125 Mio. US$, der nicht in Anspruch genommen werden darf? Warum wurde dieser Darlehensvertrag direkt im Anschluss an die Veröffentlichung des ersten Börsenprospekt abgeschlossen?
Bei dem zu platzierenden Aktienvolumen und der Funktion der Ankeraktionäre (“Cornerstone Investors” im Prospekt), d.h. dem Schweizer Michael Kühne und der chilenischen CSAV, entgleisen wir erneut. Überrascht lesen wir auf Pdf-Seite 12 bzw. 14: „Von den den Cornerstone Investoren zugeteilten Neuen Aktien werden bis zu 1.725.480 Neue Aktien nicht im Rahmen dieses Prospekts, sondern unmittelbar im Anschluss an dieses Angebot separat zugelassen.“ Warum das? Steht in der weiteren Zulassung etwas anderes drin? Verändern sich Bedingungen für die Käufer?
Wir sind ja doof und vermuten ganz schlicht, dass die zwei Ankeraktionäre von den für sie angedachten 2,6 Mio. Aktien nur 920.255 Stück zum Einführungspreis erwerben wollen. Die verbleibenden 1,7 Mio. Aktien können dann zu einem anderen Preis erworben werden.
Warum hat Hapag-Lloyd es so eilig? Warum hört man nichts von unserem Staatsreeder Herrn Olaf Scholz? Wo bleibt eine Regierungerklärung zur Situation seines persönlich zu verantwortenden Milliardeninvestments? Die Situation für unsere Stadt gestaltet sich immer bedrohlicher: wenn der Hapag-Lloyd-Aktienpreis mit 20 Euro festgestellt wird, steigt der Abschreibungsbedarf von 444 Mio. Euro aus dem letztgenannten Preis von 23 Euro für die Stadt Hamburg um 73 Mio. Euro auf nunmehr 517 Mio. Euro an. Und dieser wird spätestens zum Jahresende für die Stadt kostenwirksam gebucht werden müssen!
Die Notbremse wurde am 27.10.2015 leider nicht gezogen. Mit der heutigen Prospektergänzung für den Hapag-Lloyd- Börsengang, die den Preis praktisch auf 20 Euro festgelegt hat, geht’s jetzt mit quietschenden Reifen direkt auf den Abgrund zu. In den nächsten Tagen, es wird der 6.November 2015 gemunkelt, wissen wir es noch genauer.
Als Doofe dürfen wir noch Folgendes anführen: Ein ehemals engagierter Abgeordneter erfragte im Mai 2014 die Mitarbeiterzahlen von Hapag-Lloyd und CSAV in Hamburg und Deutschland. Ingesamt 1.505 Mitarbeiter waren in Deutschland für das fusionierte Unternehmen tätig. Hamburg hat in Hapag-Lloyd mittlerweile einschließlich Dividendenverzicht und Finanzierungskosten rund 1,5 Mrd. Euro versenkt.
Statt dieses erfolglosen Staatsinvestment hätte ein Bürgermeister die 1,5 Mrd. Euro auch an die 1.505 Mitarbeiter von Hapag-Lloyd verschenken und damit 1.505 Mitarbeiter zu Millionären machen können. „Milchmädchenrechnung“ kann man sagen – wie würden Sie die aktuelle Hamburger Politik beschreiben?