Nein, große Wellen hat diese erneute Havarie eines Großcontainerschiffes auf der Elbe wieder nicht geschlagen. Es hat keine Toten und Schwerverletzten gegeben – somit kann in bekannter Hamburger Manier wieder Gras über die Sache wachsen – oder? Auch die unvollständige Auflistung der Morgenpost über “Die schlimmsten Schiffsunglücke in Hamburg” rüttelt anscheinend in der Hamburger Politik keinen auf.
Der aktuelle Abendblatt-Artikel macht ebenfalls nur wenig Hoffnung, dass in Hamburg nicht wieder alles unaufgearbeitet unter den Teppich gekehrt wird. Wir lesen “Zudem hat die Wasserschutzpolizei eine Ermittlungsgruppe eingesetzt, die die Ursache für den Schiffsunfall feststellen soll.” Da es im Presseportal der Polizei Hamburg noch nicht mal eine klitzeklein Pressemitteilung gibt, erahnen wir schon das Ergebnis.
“Gegen den 39 Jahre alten indischen Kapitän des Containerriesen ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung und des gefährlichen Eingriffs in den Schiffsverkehr eingeleitet worden” lesen wir Abendblatt weiter und finden fast am Ende des Artikels “Für die BSU war es ein vergleichsweise kleiner Unfall, weil das Seeschiff nur einen Kratzer abbekam. Gleichzeitig wurde die Fähre erheblich beschädigt, die Besatzungsmitglieder samt Kapitän leicht verletzt.” Ein kleiner Unfall! Da es wie oben beschrieben, keine Toten und Verletzten gegeben hat, wird diese Havarie wahrscheinlich von der BSU nur als Vorkommnis eingruppiert. Das ist alles zynisch.
Aber wir fragen gerne noch einmal, insbesondere nachdem gegen den Kapitän ermittelt wird, nach. Wieso durfte dieses Riesencontainerschiff bei diesen Windstärken von sieben Bft und in Schauerböen noch mehr überhaupt in See stechen?
Im BSU-Havariebericht 34/16 zur “CSCL Indian Ocean” lesen wir auf Seite 28 “Das Befahren des Reviers ist nur zulässig, wenn eine stetige Windstärke von 6 Bft an dem Messgerät Bake „A“ oder an dem Messgerät in Brunsbüttel nicht überschritten wird.” In der Antwort der Bundesregierung zu einer schriftlichen kleinen Anfrage im Deutschen Bundestag lesen wir zu den Auflagen zum Befahren der Elbe für Außergewöhnlich Große Fahrzeuge (AGF) erneut den gleichen Satz: “Das Befahren des Reviers ist nur zulässig, wenn eine stetige Windstärke von 6 Bft an dem Messgerät Bake „A“ oder an dem Messgerät in Brunsbüttel nicht überschritten wird.” Die Quelle dieses gleichen Satzes geben weder die BSU noch die Bundesregierung an.
Beide Havaristen, die CSCL Indian Ocean und die Ever Given haben die gleichen Größendimensionen. Wieso musste die CSCL Indian Ocean damals in der Deutschen Bucht abwettern und die Ever Given durfte am 09.02.2019 einfach aus Hamburg losfahren?
Für die Elbe ist in §30 der Seeschiffahrtsstraßen-Ordnung (SeeSchStrO) in Verbindung mit den Bekanntmachungen der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt Außenstelle Nord (ab Ziffer 14 ff.) in Sachen Windgeschwindigkeiten keine Restriktion zu finden. Ein Blick in die §57 (1) Nr.1 SeeSchStrO ergibt, dass für jedes Befahren der Elbe mit einem Riesencontainerschiff (AGF) aber eine schifffahrtspolizeiliche Genehmigung beim zuständigen Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt einzuholen ist. In Falle der Ever Given war das WSA Hamburg (heute WSA Elbe-Nordsee) zuständig.
Nimmt man den besagten Satz aus der Antwort der Bundesregierung und dem BSU-Bericht ernst, muss es eine innerbehördliche Anweisung geben, die festlegt, wann welche Schiffsgröße bei welcher Windstärke mit welchen Auflagen verkehren darf.
Und in der Tat gibt es diese Anweisung: Die BUND Kreisgruppe Cuxhaven hat diese mit Herrn Kapitän Klaus Schroh in 2013 unter Aktenzeichen S1-332.3/114 IX am 27.02.2013 von der WSD Nord in Erfahrung bringen können. Wir zitieren aus dem uns vorliegenden Schreiben: “Bezüglich der Windrestriktion gilt, dass ein Befahren der Elbe für AGF generell nur bis einschließlich 7 Bft. zulässig ist. Bei steigenden Schiffsabmessungen findet eine weitere Verschärfung der zulässigen Windstärke statt … Containerschiffe ab 380 m Länge oder ab 52,5 m Breite dürfen die Elbe nur bis einschließlich Bft. 6, …, befahren”
Warum war denn keine Schlepper beim Havaristen? Wurden Sie in der behördlichen Genehmigung gar nicht erst gefordert? Hatte der auf den Videos auftauchende Schlepper am Heck des Havaristen ausreichend Pfahlzugleistung, um ihn bei diesem Wind bewegen zu können?
Da mutet es schon lustig an, wenn nun die Windstärken am 09.02.2019 künstlich auf unter 6 Bft. gerechnet werden. So hören wir mit einmal, dass die mittlere Windgeschwindigkeit von 5 Bft. genannt wird, ohne dass benannt wird, über welchen Zeitraum das Mittel gezogen wurde. Auch ob der Windmesser im Lee an der Station Lotsenhöft gestanden hat, erfahren wir nicht. Über die Windgeschwindigkeiten an der Strecke von Bake A in der Außenelbe, rund 16 Seemeilen vor Helgoland, bis Brunsbüttel, die ja das Maß der Dinge für die schifffahrtspolizeiliche Genehmigung ist, spricht keiner mehr in Hamburg.
Die “Unter den Teppich kehren”-Maschinerie der Hamburger Behörden, der HPA und insbesondere der Politik läuft an. Der Kapitän ist an Allem schuld. Und dieser Kapitän wird niemals mehr auf einem Evergreen-Schiff nach Hamburg fahren… Wir kennen das alles noch von der Yangming Utmost, wo das Verfahren eingestellt wurde.
Es fragt wird keiner nachfragen, warum die schifffahrtspolizeiliche Genehmigung von der WSA Hamburg überhaupt erteilt wurde. Und wer jetzt denkt, dass die HADAG die geschrottete Finkenwerder von irgendjemanden, z.B. dem Kapitän, der Reederei, einer Versicherung o.a. ersetzt bekommt, sollte sich eben an jene Yangming Utmost erinnern.
PS:
Keinem sind bislang die verquasten Zeitangaben zur Havarie aufgefallen. Unser Plot von Vesselfinder zeigt ganz klar die über AIS übermittelte Havariezeit von kurz vor 09:30 Uhr. Alle Berichte sprechen aber von 09:45 Uhr. Um 09:45 Uhr wäre die Fähre “Finkenwerder” auf halber Strecke nach Cranz gewesen….
Das Abendblatt berichtet, dass der Schlepper keine Leinenverbindung mehr zum Havaristen gehabt haben soll: “Zudem wurde bekannt, dass ein Schlepper den Frachter zwar begleitete, aber keine Leinenverbindung gehabt habe.” Zuvor war zutreffend erläutert worden: “Er soll normalerweise dafür sorgen, dass das Schiff der Kategorie “Megamax Carrier” im Strom gehalten wird, also in der Fahrrinne der Elbe flussabwärts.” Ja, die Polizei ermittelt… in wirklich alle Richtungen?