Jedes Jahr wird auf europäischer Ebene ebenfalls ein Gesamtbericht zu den “Baggerarbeiten” in den Nordseeanrainerstaaten erstellt. Die Organisation, die diesen Bericht veröffentlicht, nennt sich OSPAR (OSlo/PARis) und basiert auf
- der in 1972 beschlossenen Oslo-Konvention (OSCOM) gegen die Vermüllung der Nordatlantischen Gewässer durch Schiffe und Flugzeuge und
- der in 1974 in Paris (PARCOM) beschlossenen Ausweitung auf die Vergiftung durch Offshore-Industrien sowie Landabwässer.
Beide Abkommen wurden in 1992 in OSPAR überführt, einem völkerrechtlichen Vertrag, der von 15 Vertragsstaaten u.a. Deutschland unterzeichnet wurde. OSPAR publiziert seitdem viele Berichte zur Verschmutzung der Nordsee und des Nordatlantiks.
Nun ist aktuell der OSPAR-Baggerbericht für das Jahr 2012 erschienen. Er ist wie seine Vorgängerberichte in englischer Sprache abgefasst und nennt sich “Annual OSPAR report on dumping of wastes or other matter at sea” unter Nennung der Jahresangabe.
Wir gucken in den aktuellen OSPAR-Bericht und schauen in dem dreiteiligen Bericht insbesondere die deutschen Angaben zur Elbe.
- In Teil 1, Tabelle 1, Seite 5 stellen wir fest, dass Deutschland der eigentliche Baggerspitzenreiter ist.
- In Teil 1, Tabelle 2, Seite 6 lesen wir, dass in Deutschland die nationalen Grenzwerte für Giftstoffe in Baggermaterial bei den Verklappungsgebieten (OSPAR-Deposit-Site-Code) mit den Nummern (103) für 51.000 Tonnen und (109) für 1.196.000 Tonnen mit 5,67 mg/kg HCB-belastetem Baggergut überschritten wurden.
- In Teil 1, Tabelle 3a, Seite 7 werden die Entnahmestellen für die Nummern (103) und (109) lokalisiert: das Baggergut wurde im Unterelbe-Fahrwasser zwischen km 638 bei Nesssand und km 650 vor Lühesand entnommen. Als Grund der Maßnahme wird Unterhaltungsbaggerei angegeben und ergänzend ausgeführt, dass insgesamt bei Nummer (103) 373.000 Tonnen und bei Nummer (109) 1.796.000 Tonnen Baggergut gebaggert wurden.
- In Teil 1, Tabelle 3b, Seite 23 erfahren wir, was denn noch an giftigen Belastungen im Baggergut enthalten ist. Hier erfahren wir näheres zu Schwermetallen und weiteren organischen Bestandteilen von (103) und (109).
- In Teil 3, Seite 45 sehen wir eine Karte der Verklappungsstellen (dumping sites), allerdings ohne Nummernangaben. Ersatzweise nehmen wir die Karte aus dem Bericht des Jahres 2010, Seite 47, Figure 4.
Soweit OSPAR, Teil 1 – haben Sie schon etwas von diesen Werten, Mengen und Orten an der Elbe hören dürfen? Nein, Sie auch nicht!
Es ist für uns neu, dass das derartig belastetes Baggergut zwischen Nesssand und Lühesand entnommen worden sein soll. Ist vielleicht die Verklappung aus der HPA Umlagerungsbaggerei gemeint, die bei Nesssand vorgenommen wird?
Das kann nicht sein, da im OSPAR-Bericht in Teil 1, Tabelle 3a ausdrücklich angeführt, dass das Baggergut dem Estuar und nicht dem Hafen entnommen wurde.
Wir versuchen für die Nummern (103) und (109) einen Zusammenhang zwischen dem OSPAR-Bericht 2012 und dem HPA-Jahresbericht 2012 “Teilbericht Umlagerung von Baggergut nach Neßsand herzustellen. Weder bei den Mengen noch bei den HCB-Belastungen gelingt uns dieses. Kein Wort davon im HPA-Jahresbericht 2012.
Nun schauen wir wieder in den OSPAR-Jahresbericht in Teil 2, hier Nummer 3.2.2, Seite 37 und lesen: “Teile des Baggergutes aus der inneren Elbmündung, welches außerhalb des OSPAR-Konventionsgebietes liegt, wurden im OSPAR-Konventionsgebiet verklappt, da die Kapazitäten der Deponien in der Nähe der ursprünglichen Baggergebiete erschöpft waren. Darüber hinaus wird angenommen, dass es einen Rücktransport von Baggergut von zu nah liegenden Verklappungsstellen durch hydromorphologischen Bedingungen gibt. Die Verklappung dieses Baggerguts auf weiter seewärts liegende Klappstellen sollen die erhöhten Sedimentmengen im Hafen deutlich reduzieren. Ein neues Konzept für das Management von Baggergut ist in Entwicklung.” (Eigene Übersetzung)
Was ist mit OSPAR-Konventionsgebiet gemeint? Die Grenzen dieses OSPAR-Gebietes ergeben sich aus den “Gemeinsamen Übergangsbestimmungen zum Umgang mit Baggergut in den Küstengewässern” kurz GüBAK, hier Kapitel 1.4, Seite 6: es ist der Elbkilometer 683, d.h. querab des Freiburger Hafenpriels. Ab Elbkilometer 683 ist man im OSPAR-Gebiet, davor, also auch die Elbkilometer 638 bis 650 liegen außerhalb.
Bis Elbkilometer 683, dem Freiburger Hafenpriel, gelten andere Baggerbestimmungen als die GüBAK: namentlich die “HABAB”, die “Handlungsanweisung für den Umgang mit Baggergut im Binnenland“.
Die HABAB geht bei der Schadstoffbewertung grundsätzlich anders vor als die o.a. GüBAK. Bei der HABAB werden nicht die Schadstoffbelastungen des Baggergutes mit vorab festgelegten Grenzwerten verglichen, sondern es werden die Schadstoffkonzentrationen im Schwebstoff an der Baggerstelle mit denen des Baggergutes verglichen und in Relation gesetzt: ist der Schwebstoff ähnlich vergiftet wie das Baggergut, kann problemlos umgelagert werden – ist der Schwebstoff dagegen deutlich weniger belastet als das Baggergut muss etwas unternommen werden.
Folgen wir den OSPAR-Angaben muss es zwischen Nesssand und Lühesand Baggermaterial gegeben haben, das deutlich mehr Giftstoffe als die Schwebstoffe enthalten haben muss. Das Material hätte an Land deponiert werden müssen und hätte nicht umgelagert werden dürfen. Dafür hat es ein Anzeige bei OSPAR gemäß Teil 1, Tabelle 2 gegeben.
Ist das nun schlimm? Wir vergleichen den oberen HCB-Grenzwerte, der bei der GüBAK mit R2 auf Seite 13 angegeben ist mit den OSPAR-Angaben: dort lesen wir als Grenzwert 5,5 µg, der mit 5,67 µg deutlich überschritten worden ist.
Nun sind wir völlig überrascht: in 2012 hat es laut dem Senat und der HPA keine Verklappungen bei E3 vor Helgoland gegeben. Hamburg und das WSA HH müssen der Elbe aber, wenn wir dem OSPAR-Bericht für 2012 glauben schenken (siehe oben: ein völkerrechtlich bindender Vertrag) erheblich belastetes Baggergut zwischen Nesssand und Stadersand entnommen und unterhalb des Freiburger Hafenprieles verklappt haben. Auch hiervon ist den HPA-Baggerbericht für 2012 kein Wort zu entnehmen.
Es scheint also, dass die Verklappung außerhalb der obigen GüBAK-Bestimmungen vorgenommen wurde – vielleicht sogar bei Helgoland bei der Tonne E3?
Wenn Sie uns bis jetzt noch folgen konnten, würden wir uns freuen, wenn Sie noch die OSPAR- und HPA-Berichte für die Vorjahre vergleichen würden. Sie werden den soeben für das Jahr 2012 geäußerten Verdacht für die Vorjahre mehr als bestärkt bekommen.
Wer sich wundert, dass OSPAR seinen Bericht für 2012 erst so spät veröffentlicht, möge nach den Baggerberichten der HPA für das Jahr 2013 suchen. Diese sind nach 11 Monaten Wartezeit immer noch nicht veröffentlicht – wie soll da eine europäische Organisation schneller sein?
In Sachen Baggerregelungen muss “Druck auf den Kessel”. Es kann nicht sein, dass unsere Mülltonnen für den “Grünen Punkt” Müll in Wohnanlagen mit Schlössern versehen werden und in der unserer Elbe und der Nordsee vor Helgoland rumgesaut werden kann, wozu die “Bagger-Oberen” gerade Lust haben.