Am 09.12.2014 hat der Rechnungshof seine “Gutachterliche Äußerung” zu den 153 Mio. Euro hohen HPA-Abfindungszahlungen für Flächenfreimachungen am geplanten CTS in Steinwerder veröffentlicht. Das Abendblatt berichtet “Eine über Jahre schwelende politische Affäre über den Umgang mit Hafenflächen hat ein Ende gefunden. Bei der vorzeitigen Kündigung von Mietverträgen im Freihafen hat es keine Unregelmäßigkeiten gegeben. … Für die HPA ist das Gutachten ein Freispruch erster Klasse, für den damaligen Aufsichtsrat der HPA aber eine verbale Ohrfeige.”
Wir freuen uns, dass es keine Unregelmäßigkeiten gegeben hat, sind aber erstaunt, über die Aussage zum Aufsichtsrat. So lesen wir das vollständige Gutachten des Rechnungshofes (RH) mit dem Titel “Entschädigungsleistungen für die Freimachung von Hafenflächen“, lesen dieses mit besonderem Blick auf HPA-Entscheidungsfindung für die Zahlung der Millionenbeträge und die Rolle des HPA-Aufsichtsrates.
Die HPA-Entscheidungsfindung (Kapitel 3, Seite 14 ff.)
Zunächst wird die Historie, die seit 2005 zur Entwicklung des CTS geführt hat, dargestellt. Der HEP 2005 (Hafenentwicklungsplan) prognostiziert ein Umschlagswachstum von den damaligen 7 Mio. TEU auf 18,1 Mio. TEU im Jahr 2015. Der Senat, berauscht von dem Wachstum der Jahre vor 2005, meint daher neue Umschlagsflächen in Hamburg schaffen zu müssen und präzisiert seine Planung zum CTS (damals noch Container Terminal Steinwerder). Parallel wird die HPA als Anstalt des öffentlichen Rechts zum 01.10.2005 gegründet. Als vermutlich einer der ersten Aufträge an die HPA wird von dieser in 2006 wird eine Nutzen-Kosten-Analyse angefertigt, die laut RH sensationelle Kosten-Nutzen-Relationen für die “hamburgische Wertschöpfung” ermittelt. Was unter “hamburgische Wertschöpfung” zu verstehen ist und mit welchen Zahlen und Methoden gerechnet wurde, erfährt der Leser leider nicht. Der RH gibt hierzu lediglich an: “Die Berechnung stellt als Kosten die Investitionskosten der Maßnahme einschließlich der angenommenen Entschädigungsleistungen und die betrieblichen Folgekosten dem Beschäftigungsnutzen… gegenüber.” und “Die betriebswirtschaftliche Rentabilität ist nicht untersucht worden.“Der RH stellt fest, dass eine “Fortschreibung und Aktualisierung dieser Berechnung auf der Grundlage fortgeschriebener Planzahlen nicht erfolgt ist.” und “dass die Nutzen-Kosten-Untersuchung im weiteren Verlauf des Projekts CTS nicht noch einmal Entscheidungsunterlage war.”
Ende 2006 kennt man bei der HPA aus Vorverhandlungen mit den Mietern den maximalen Entschädigungsbetrag: es geht um 150 Mio. Euro. Der Wirtschaftssenator weist die HPA im November 2008 an, das Projekt CTS in die eigene finanzielle Verantwortung zu übernehmen (keine Haushaltsrelevanz, somit keine Genehmigung durch die Bürgerschaft erforderlich). Die HPA soll mit den Mietern mit den größten Flächenanteilen bis Ende 2008 eine Lösung zur Freimachung ihrer Flächen herbeizuführen. Diese Vereinbarung gelingt am 23.12.2008. Am 04.02.2009 unterzeichnet die HPA die Vereinbarung, allerdings mit einem Gremienvorbehalt, d.h. vorbehaltlich der Zustimmung des Aufsichtsrates. Der Aufsichtsrat trifft seine Entscheidung laut RH fünf Monate später am 09.07.2009 und löst den Gremienvorbehalt auf.
Für den Rechnungshof sind “die Entscheidung für einen Ausbau der Umschlagskapazitäten im HEP 2005, die Übertragung des Projekts in die finanzielle Verantwortung der HPA Ende 2008 und das Weiterverfolgen des Projekts nicht zu beanstanden“.
Halt – hier müsste man doch auch als Rechnungshof wirklich stutzig werden: Deutschland befindet sich in der Zeit seit 2007 mit der gesamten Welt auf dem Weg in die Bankenkrise, die im Spätsommer 2008 einen vorläufigen Höhepunkt erfährt: Die US-amerikanische Lehmann-Bank meldet am 15.09.2008 Insolvenz an. Die Hypo-Real-Estate wird am 29.09.2008 mit Milliarden bis Weihnachten gerettet. Banken leihen sich in der Folge untereinander keine Gelder mehr und sorgen in der Wirtschaft für eine Liquiditätsklemme. Kurz nach dem in Hamburg in der Speicherstadt vor dem Sitz der HPA gefeierten “Tag der deutschen Einheit”, ist die deutsche Bundeskanzlerin Frau Angela Merkel am 05.10.2008 gezwungen, eine Staatsgarantie für Spareinlagen auszusprechen.
Und dieses Wirtschaftsgeschehen sollen nun die Führungsriege in Senat, Behörden und HPA bei ihren Millionenentscheidungen zum “hamburgischen Wohle” unbeachtet bleiben lassen dürfen? Diesen Verantwortlichen sollen bei ihren Entscheidungen nicht einmal einfache wirtschaftliche Zusammenhänge zwischen “Finanzkrise = Liquiditätsklemme = stagnierender Welthandel = Einbruch im Containerumschlag berücksichtigen? Auch dann noch, wenn die eigene Hausbank, die HSH-Nordbank, am 03.11.2008 schlappe 30 Milliarden Euro Staatsbürgschaften abfordert?
Was so ein Wirtschaftssenator und die HPA-Geschäftsführung übersehen kann, hätte aber doch der HPA-Aufsichtsrat im Rahmen seines o.a. Gremienvorbehaltes im ersten Halbjahr 2009 bemerken können? Die Umschlagszahlen im Hamburger Hafen sinken Anfang 2009 nicht mehr leicht, wie zuvor im Oktober 2008, sondern sie brechen massiv ein. Am CTT am Tollerort kommt die Umschlagsarbeit zum Erliegen – Kurzarbeit ist im Frühjahr 2009 Standard im Hafen.
Auch der HPA-Aufsichtsrat hat bei der Auflösung des Gremienvorbehaltes am 09.07.2009 seine Funktion nicht wahrgenommen. Im HPA-Geschäftsbericht des Jahres 2008 finden wir im Bericht des Aufsichtsrates folgende Sätze: “Der Aufsichtsrat teilt die Auffassung des Managements der Hamburg Port Authority (HPA), das davon ausgeht, dass es sich bei der aktuellen Weltwirtschaftskrise um eine temporäre Abschwächung handelt und das Welthandelsvolumen in den nächsten Jahren erneut ansteigen wird. Vor diesem Hintergrund werden die eingeleiteten Sanierungs- und Optimierungsmaßnahmen der bestehenden Hafeninfrastruktur unvermindert fortgeführt und die Ausbauplanungen der Hafenumschlagsanlagen weiter verfolgt.”
Adieu, ihr 153 Mio. Euro – das von HPA in 2008 für das Jahr 2015 geplante Wachstum auf 18,1 Mio. TEU ist heute genauso weit entfernt wie in 2008: dieses Jahr werden mit rund 9,7 Mio. TEU genau so viele Container wie in 2008 umgeschlagen.
Fazit: So etwas müsste man als krasse Fehlentscheidungen, garniert mit einem 153 Mio. Euro schwerem Geschmäckle bezeichnen: unser jetziger Wirtschaftssenator, Herr Frank Horch, damals Präses der Handelskammer wurde am 07.10.2008 in den HPA-Aufsichtsrat berufen. Und da sitzt er auch noch heute.
Der Aufsichtsrat und die Allgemeine Vertragsbestimmungen für die Vermietung
Im Kapitel 4, Seite 33 ff. geht es um die Lehren aus den 153 Mio. Euro-Desaster: Wird die HPA zukünftig beim Abschluss von neuen Mietverträgen Regeln vereinbaren, die einen kostengünstigeren Ausstieg bei vergleichbaren Entscheidungen á la CTS ermöglichen?
Klare Antwort: Nein – bis heute nicht!
Der RH führt aus, dass die HPA als Lehre aus den Abfindungszahlungen zunächst neue “Allgemeine Vertragsbestimmungen für die Vermietung von Hafen- und Hafenindustrie-Grundstücken” (AVB-HI) für neue oder zu verlängernde Mietverhältnisse erarbeitet hatte. Diesen neuen als AVB-HI-2010, bezeichneten Bedingungen wurden vom HPA-Aufsichtsrat in 12/2009 genehmigt und sollten ab 01.01.2010 in der HPA zum Einsatz kommen. Der Unternehmensverband Hafen Hamburg (UVHH), damals unter Leitung des HHLA Vorstandschef Herrn Klaus-Dieter Peters (wohlgemerkt Chef eines Staatsunternehmens), intervenierte massiv bei der Wirtschafts- und Verkehrsbehörde gegen die neuen AVB-HI-2010 – einen Eindruck gibt es hier (Seite 5 vorletzter Absatz).
Aufgrund diffuser mündlicher Absprachen zwischen Wirtschaftbehörde und HPA-Geschäftsführung wurden dann wieder die alten AVB-HI bei Neu- oder Verlängerungsverträgen eingesetzt. Der Aufsichtsrat ist seit 2009 seitens der HPA-Geschäftsführung mit der Aussetzung der AVB-HI 2010 niemals mehr befasst worden – er hat aber auch nie aus eigenem Antrieb nachgefragt, obwohl dort auch ein Herr Frank Horch Stimme und Sitz hat.
Die HPA hat im Anschluss an deren Aussetzung intern mit einer weiteren Überarbeitung der ABV-HI begonnen. Diese sollten den Interessen der Hafenwirtschaft mehr Rechnung tragen. Da Verhandlungen mit dem UVHH zu anderen die Hafenwirtschaft betreffenden Themen nicht erschwert werden sollten, hat Herr Horch mit seiner Wirtschaftsbehörde erst Anfang Juni 2014, nachdem seitens UVHH nunmehr keine Bedenken gegen die überarbeiteten AVB-HI bestanden, die HPA gebeten, diese zu verfolgen. Somit wird erst jetzt, Dezember 2014, eine Neufassung der AVB-HI mit der Aufsichtsbehörde abgestimmt.
Fazit: Nachdem 153 Mio. Euro-Abfindungsdesaster sind in Hamburg keine neuen AVB-HI im Einsatz. Die alten Vermietungsregelungen gelten somit für den ganz überwiegenden Teil der vermieteten Flächen, die nach dem Ergebnis des RH-Gutachten als nicht rechtssicher anwendbare Regelungen zur außerordentlichen Kündigung enthalten. Wie groß das Risiko für Hamburg ist, versucht derzeit eine kleine schriftliche Anfrage in der Bürgerschaft mit dem Titel “Entschädigungsrisiken bei HPA-Mietverträgen“heraus zu finden.
Der o.a. Abendblatt Bewertung zum Gutachten des RH “Für die HPA ist das Gutachten ein Freispruch erster Klasse, für den damaligen Aufsichtsrat der HPA aber eine verbale Ohrfeige.” können wir nicht folgen. Der Bericht ist eine Klatsche für die Körperschaft der HPA: und zwar für die HPA-Geschäftsführung, für die HPA-Aufsicht in der Wirtschaftsbehörde und den HPA-Aufsichtsrat.
Die HPA samt ihrer Geschäftsführung, ihres Aufsichtsrates und ihrer Aufsicht aus der Wirtschaftsbehörde scheinen mit der Hafenwirtschaft derart verfilzt zu sein, dass eine Arbeit in dieser Organisationsform zum Wohl unserer Stadt einfach nicht möglich ist.
In der HPA, einer Körperschaft öffentlichen Rechts, scheint die Geschäftsführung nicht Herr im eigenen Haus zu sein. Die HPA-Geschäftsführung scheint der Weisungsnehmer des jeweiligen Senators zu sein, der wie eine Marionette an den Fäden der Hafenwirtschaft zu hängen scheint. Der HPA-Aufsichtsrat ist dabei ein Gremium, das man mal informiert, mal um Entscheidung bittet und am liebsten aber gar nicht befragt. Und im HPA-Aufsichtsrat ist man mit dieser Behandlung seitens der Geschäftsführung auch sehr einverstanden.
Wer es noch nicht glaubt, dem sei eine abschließende Leseprobe aus dem RH-Bericht gegeben: “Ob die unternehmensinterne Kontrolle hinsichtlich der vorzeitig beendeten Mietverträge inhaltlich ausreichend gewesen ist, ist aufgrund der eingeschränkten Dokumentation nicht abschließend prüfbar und entzieht sich insoweit einer Bewertung. Ungeachtet der Einlassung der BWVI und der Finanzbehörde, dass wesentliche Informationen den Aufsichtsratsmitgliedern auch mündlich erteilt worden sein können, kritisiert der Rechnungshof die fehlende Dokumentation der diesbezüglichen Aufsichtsratstätigkeit.”
An dieser Stelle denken wir an die praktische Arbeit von Arbeitnehmern in Krankenhäusern, Altenheimen, Schulen und eigentlich überall: versuchen Sie mal einer Internen Revision klar zu machen, dass Sie bei ihren Tätigkeiten “mündlich” informiert haben und auf eine schriftliche Dokumentation und Protokollierung verzichtet haben. Das macht man nur einmal… Bei der HPA scheint das noch Standard zu sein – insbesondere wenn es um Kleinigkeiten wie 153 Mio. Euro geht.