In den Lübecker Nachrichten war vor kurzem im Artikel “Elbvertiefung und neue Strukturen erhöhen Eisgefahr” zu lesen: “Das Wasser- und Schifffahrtsamt Lauenburg (WSA) warnt vor einer steigenden Eisversatz-Gefahr auf der Elbe. Durch eine Elbvertiefung könne nach Ansicht der Experten das gefährliche Phänomen öfter auftreten und durch die Strukturreform der Schifffahrtsverwaltung dann das Fachpersonal für die Eisbrecher fehlen.”
Was ist Eisversatz? Für eine Erklärung greifen wir auf die in 2012 veröffentlichte Dissertation “Eishochwasser an Oder und Elbe…” von Alfred Schuh, Kapitel 4.3.4 zurück. “Ein Eisstau bildet sich unter anderem in einem Fluss, wenn der Transport von Eiskristallen, bzw. Eisschollen … eingeschränkt ist. Die einzelnen Schollen berühren sich und frieren zusammen. … Verdichtet sich dieser Eisstau von Ufer zu Ufer. .. entsteht ein Eisstand. … Eine Eisversetzung dagegen ist gegeben, wenn sich die weiter ankommenden Eisschollen auf den bereits bestehenden Eisstand sowohl darauf- als auch darunter schieben und so den Abflussquerschnitt stark einengen. … Bei diesen Eisversetzungen können sich die über- und untereinander geschobenen Eisschollen zu einer Stärke von bis zu 2,50 m auftürmen. Die Folge davon sind ansteigende Wasserstände oberhalb der Eisversetzung.”
Was hat das mit der Elbvertiefung zu tun? Wir zitieren weiter aus der Dissertation: “Ein spezieller Bereich, an dem sich ein Eisstau bilden kann, ist der Tidebereich der Elbe. Hier ist der kritische Abschnitt für Eisstände die Flutstromgrenze, die wiederum von der Abflussmenge und dem Tidehub abhängt. Er liegt an der Elbe zwischen Strom-km 599 (Zollenspieker) und 620 (Norderelbbrücke bzw. Altenwerder)… Die Flutstromdauer liegt bei Hamburg-Harburg zwar nur bei 4,75 Stunden, während die Ebbestromdauer bei 7,75 Stunden liegt. Dennoch staut das auflaufende Wasser den ungehinderten Eisschollenabfluss. Wenn hier nicht durch Eisbrecher in der Flutstromphase das dichte Treibeis am Zusammenfrieren gehindert werden kann, hat das Treibeis bei Ebbe keine Chance abzufließen. Bei dieser sogenannten Tideströmung schieben sich das mit der Flut stromauf „fließende“ Eis und das mit der Ebbe abfließende Eis ineinander und frieren zusammen. Es verdichtet sich zu Packeis oder Presseis.”
In dem Informationsblatt “Eisaufbruch” des WSA Lauenburg ist ergänzend zu lesen: “Bei hohen Abflüssen beginnt der Eisstand in der Regel im Tidebereich unterhalb von Geesthacht, bei geringeren Abflüssen im Staubereich des Wehres. Ein Eisstand setzt sich schnell nach Oberstrom fort und kann mehrere 100 km Ausdehnung erreichen. So reichte der Eisstand 1996/97 von Geesthacht bis Barby. In exponierten Bereichen wie z. B. … unterhalb des Wehres Geesthacht im Tidebereich kann sich das Eis dabei auch zu massiven Eisversetzungen zusammenschieben. Diese behindern den Abfluss stark, so dass sich das Wasser hinter einer derartigen Barriere schnell aufstaut und massive Gefahren für den Hochwasserschutz darstellt. Unkontrolliert brechende Eisbarrieren und abschwimmende Treibeisfelder stellen ebenfalls eine Gefahr für Deiche und Bauwerke dar.”
Jetzt kann ein Zusammenhang zwischen Elbvertiefung und Eisversatz hergestellt werden. Mit der geplanten 9. Elbvertiefung scheinen auch die Mitarbeiter des WSA Lauenburg einen weiteren Anstieg des Tidenhubes zu befürchten und damit die Förderung des wesentlichen Parameters für die Bildung des Eisversatzes. Wenn die Tideelbe vom Wehr in Geesthacht bis nach Hamburg nicht von einem Eisversatz freigehalten werden kann, droht, dass sich das Wasser in der Mittelelbe aufstaut, über die Deiche tritt und Eisschollen den Deich beschädigen.
“Im Februar 2012, als die zehn Spezialschiffe zum bisher letzten Mal auf der Elbe massiv gefordert waren, sei man knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt, schilderte Bettina Kalytta die brisante Situation”. Dass die von den Mitarbeitern des WSA Lauenburg o.a. Befürchtungen nicht irreal sind, berichtet auch die Bergedorfer Zeitung aus dem Eiswinter 2012.
Wie die Räumung der Elbe zwischen Hamburg und Geesthacht funktioniert und welche Auswirkungen ein Eisversatz auf die Wasserstände hat, wird vom WSA Lauenburg ausführlich in der Präsentation “Eisbekämpfung durch die WSV auf der Elbe” beschrieben.
In dem Artikel der Lübecker Nachrichten lesen wir weiter, dass es um die personelle Ausstattung der Eisbrecherflotte von 10 erforderlichen Schiffen nicht gut bestellt ist. Der Bund als Mitbetreiber der aktuellen Elbvertiefung will bei der Organisation der eigenen Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, also auch der Lauenburger Eisbrecherflotte, kräftig sparen. Das passt angesichts der von den Mitarbeitern des WSA Lauenburg beschriebenen Gefahr des Eisversatzes nicht zusammen. Aber auch in Niedersachsen scheint man dieses Thema nicht ernst zu nehmen. So bestätigt die Antwort 3 des damaligen Umweltminister Herrn Hans-Heinrich Sander auf eine Anfrage im Niedersächsischen Landtag aus 2005 die Gefahren eines Eisversatzes für die Deichsicherheit und die Notwendigkeit des Bestandes der Eisbrecherflotte. Niedersächsische Konsequenzen aus dieser Antwort haben wir in den Einvernehmensverhandlungen mit Hamburg im Jahre 2012 nicht wahrgenommen. Gehören die Kreise Harburg, Lüneburg und Lüchow-Dannenberg nicht mehr zu Niedersachsen? Dieses macht uns stutzig, da wir ja bereits um die finanziellen Irrungen beim Bau des Wehres in Geesthacht berichtet hatten.