Der Seehafenhinterlandverkehr auf der Schiene ist eines der großen Verkehrsthemen für die deutschen Seehäfen. Über das Dialogforum Schiene Nord, wir berichteten, wird derzeit in Sachen “Y-Trasse” mit Bürgerbeteiligung versucht eine, einvernehmliche Lösung zu finden. Die Entwicklung der Diskussion um die Trassen kann im Downloadcenter des Forums nachverfolgt werden.
In der Celler Presse finden wir einen Artikel, dass sich das Forum in seiner vorletzten Sitzung auf der Zielgeraden befinden würde. Wir lesen, dass die “Alphavariante” bei den engagierten Bürgerinitiativen im Mittelpunkt der Diskussion steht. Die Alphavariante bedeutet, dass in Niedersachsen die Eisenbahnverkehre der Seehäfen über zu ertüchtigende Bestandsstrecken intelligent aufgeteilt werden sollen. In Abgrenzung zum Neubauvorhaben “Y-Trasse” würden zusätzliche Bahnkapazitäten relativ kurzfristig zu Verfügung stehen und keine weitere Flächenzerschneidung und Umweltzerstörung bedeuten. Auch die Deutsche Bahn ist überzeugt von der Tragfähigkeit der Alphavariante. Die Idee zur Alphavariante samt der einbezogenen Strecken können in einer Zusammenfassung der niedersächsischen Bundestagsabgeordneten Frau Kerstin Lühmann sehr gut nachvollzogen werden. Eine Entscheidung will das Forums auf seiner letzten Sitzung am 5. November 2015 treffen.
Überrascht lesen wir aber auch in der Celler Presse, dass Hamburg (erst) auf der vorvorletzten Sitzung im September 2015 einen eigenen neuen Vorschlag zur Trassierung mündlich vorgestellt hat. Hamburg schließt sich den Überlegungen zur Alphavariante an, fordert nun aber zusätzlich statt der bisherigen Y-Trasse eine ganz neue Trassenführung entlang der A7 nach Süden. Der auf den 06.10.2015 datierende schriftliche Hamburger Vorschlag samt Trassenkarte ist bei den Beteiligten auf wenig gute Resonanz gestoßen. “In der anschließenden Diskussion wurde die Haltung Hamburgs im Dialogforum kritisiert. Hamburg fordere eine neue Variante als Neubau von Nord nach Süd, um sich gegenüber anderen Häfen Vorteile zu verschaffen.”
Auch wir sind von diesen neuen Plänen sehr überrascht: Die bisher in Hamburg bekannten kapazitätserhöhenden Streckenausbauten Richtung Süddeutschland und Osteuropa werden urplötzlich im neuen Vorschlag als nicht mehr als wettbewerbs- bzw. leistungsfähig bezeichnet. Dabei wurden diese noch im Masterplan Hafenbahn 2015 benannten DB-Erweiterungsmaßnahmen auf den Strecken Hausbruch–Harburg–Lüneburg–Uelzen–Stendal sowie Hamburg–Büchen–Wittenberge–Stendal zur Anbindung an den sogenannten “Ostkorridor” der Deutschen Bahn favoritisiert. Auf Basis dieses Masterplanes wurden seit der Veröffentlichung in 2009 für die Hamburger Hafenbahn umfangreiche Bau- und Sanierungsmaßnahmen eingeleitet, u.a. der Neubau der Kattwyk- und der Rethe-Eisenbahnbrücke sowie die Sanierung des Bahnhofs Hohe Schaar. Auch der Hafenentwicklungsplan “Hamburg hält Kurs” aus dem Jahr 2012 hält daran fest. Dort finden wir auf Pdf Seite 51 unter der Überschrift DB-Korridor Ost: “Daher will der Senat durch eine zusätzliche Zu/ Ausfahrt des Hafens nach Nordosten die Leistungsfähigkeit der Anbindung des Hafenbahnnetzes an das Netz der Deutschen Bahn auch in Zukunft gewährleisten. Mit der NordOstAchse Hafen West–Neue Kattwykbrücke–Wilhelmsburg mit Fortsetzung im DBNetz Richtung Büchen–Berlin/Stendal–Süddeutschland–Südosteuropa … schließt der Hafen redundant an nationale Entlastungslinien in Richtung seiner Hauptmärkte sowie an die europäischen TENTKorridore an.” Ohne die Nutzung der Anbindung an den Ostkorridor machen also die angeführten Brücken- und Bauprojekte im Hafen keinen Sinn.
Im Protokoll der Sitzung des Dialogforums Schiene Nord vom 11.09.2015 sind diese langjährigen Planungen zwischen DB und Hamburg zur Anbindung der Westhäfen auf Seite 52 ebenfalls nachzulesen. “Eine Neubaumaßnahme eines Überwerfungsbauwerkes [= Eisenbahnbrücke über Eisenbahngleise] in Wilhelmsburg zusammen mit einer zweigleisigen Katwyk-Brücke mache die Fahrt durch den Bahnhof Hohe Schaar möglich. Die Kapazität dieser Verbindung wird durch eine zweite Gleiskurve Kornweide vergrößert. Die Strecke tauche unter den Personenzuggleisen in Richtung des Hamburger Hauptbahnhofes hindurch und schaffe die Verbindung in Richtung Rothenburgsort, Billwerder und Büchen. Diese Maßnahmen aus dem Knoten-Konzept der Knoten-Studie Hamburg werde von der DB Netz schrittweise umgesetzt und stehe bis 2030 zur Verfügung.” Die Anbindung der Westhäfen samt Baumaßnahmen laut DB ist sehr gut mit der Karte aus dem o.a. Hafenentwicklungsplan nachvollziehbar. Der guten Ordnung halber haben wir die Rethebrücke für die Anbindung des östlichen Tollerort-Terminals CTT ergänzend angeführt.
Hamburgs Strategie für die Schienenanbindung der Westhäfen an den Ostkorridor scheint sich mit dem neuen Vorschlag einer Trassierung entlang der A7 fundamental geändert zu haben. Einen dazu gehörigen Meinungsfindungsprozess haben wir in Hamburg bislang nicht wahrnehmen können. Hier scheint schon wieder etwas mit typischer Hamburger “Hinterzimmerpolitik” ohne Bürgerschaftsbeteiligung entstanden zu sein. Unser Hamburger Hafenblatt findet zu diesem Hafenunsinn kein Wort. Auch in den Zeilen von Herrn Drieschner in der Hamburger Zeit können wir wenig Inhalt finden.
In der niedersächsischen Provinz kommt diese Form der Hamburger Politik der schnellen Querschüsse nicht gut an. Im Protokoll des Dialogforums finden wir auf Seite 55 den Vermerk: “Ein Teilnehmer führte an, dass die negativen Auswirkungen einer Maßnahme, die dem Land Hamburg diene, in Niedersachsen zu spüren seien.” Als Hamburger haben wir nicht nur Verständnis für die Haltung dieses Teilnehmers. Angesichts dieser unglaublichen Hamburger Planungen zur Hafenbahn unterstützen wir Ihn.
Wir wünschen den Freunden der “Alphavariante” ohne A7 viel Erfolg!