Vor einigen Tagen berichteten wir Ihnen über Junckers Liste, in der alle europäischen Staaten ihre Wunschprojekte für eine gehebelte EU-Finanzierung über Privatisierungen einbringen durften. Auf dieser Liste sollte, so wurde gemunket, bei den deutschen Projektvorschlägen auch die Elbvertiefung angeführt sein. Mittlerweile sind auf den Internetseiten der EU-Kommission offizielle Details des Juncker Planes veröffentlicht, die wir nachfolgend versuchen zu erläutern.
In einer Gesamtanalyse wird zunächst festgestellt, dass in einigen EU-Staaten die Investitionstätigkeit seit der Finanzkrise 2007/2008 stark gesunken ist: “Während Bruttoinlandsprodukt (BIP) und privater Verbrauch in der EU im zweiten Quartal 2014 im Vergleich zu 2007 in etwa gleich geblieben sind, gingen die Gesamtinvestitionen um rund 15 % zurück.” Als EU-Staaten mit dem stärksten Investitionsschwund werden Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Spanien benannt. “Eine schwache Investitionstätigkeit im Euro-Währungsgebiet … dämpft das Wachstumspotenzial, die Produktivität, die Beschäftigungslage und die Möglichkeiten zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in Europa.” Als Ursache wird geringes Investorenvertrauen benannt, das insbesondere Auswirkungen auf die KMU (Kleine und Mittlere Unternehmen) haben soll. Das Vertrauen der Kapitalgeber insbesondere in die KMU soll durch die Bereitstellung von EU-Bürgschaften wieder verbessert werden. Kommissionspräsident Juncker hat in seiner Rede vom 15. Juli 2014 vor dem EU-Parlament die Investitionsprojekte benannt, die im Fokus der Förderung stehen sollen:
- Infrastrukturmaßnahmen (insbesondere Breitband- und Energienetze und Verkehrsinfrastruktur in Industriegebieten),
- Bildung, Forschung und Innovation und
- Förderung der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz fließen.
“Vor allem aber muss in großem Maßstab in Maßnahmen investiert werden, die Arbeitsplätze für die junge Generation schaffen.“
Mit diesen Vorgaben wurden die EU-Mitgliedsstaaten aufgefordert, einer von Herrn Juncker eingesetzten “Task-Force” kurzfristig realisierungsfähige Investitionsprojekte zu benennen, die den Staaten als besonders relevant und passend erscheinen. Die gemeldeten Projekte wurden von der “Task-Force” in einer Projektliste aufbereitet und nun veröffentlicht. Diese als Annex 2 bezeichnete Liste wird englischsprachig in drei Teilen zur Verfügung gestellt (Ende Mai 2015 wurden die Download-Links der EU gelöscht):
- Teil 1 des Annex 2: Vorschläge der Länder Austria bis Netherlands
- Teil 2 des Annex 2: Vorschläge der Länder Poland bis United-Kingdom
- Teil 3 des Annex 2: “European Commission – List of Illustrative Projects”
Teil 1 und Teil 2 können wir uns noch mit einer Aufteilung des Gesamtdokumentes erklären. Aber was soll die Liste 3, die ausdrücklich als Projektliste der EU-Kommission benannt wird?
Zunächst betrachten wir den Teil 1 des Annex2, da Germany in dieser Liste enthalten ist. Auf Seite 204 beginnen die Deutschen Vorschläge – für die Elbvertiefung ist ein Eintrag mit einem Budget von 400 Mio. Euro finden (Doppelklick zum Vergrößern):
Im Teil 3 des Annex 2 (Projektliste der EU-Kommission) suchen wir ebenfalls nach der Elbvertiefung. Auch hier werden wir fündig. Die Elbvertiefung wird gleich dreimal angeführt. Einmal von der Bundesregierung und zweimal von Hamburg.
Jetzt sind wir sehr erstaunt. Der Bundesanteil mit 248 Mio. Euro und der hamburgische Anteil von 199 Mio. Euro sind nach den bisherigen Veröffentlichungen korrekt angegeben. Aber warum ist der Hamburger Anteil der Vertiefungskosten gleich zweimal angeführt? Und wieso ergeben 250 Mio. Euro Bundesanteil und 199 Mio. Euro Landesanteil zusammen 400 Mio. Euro? Noch schwindelig von dieser Form der Zahlenakrobatik finden wir im Teil 3 des Annex 2 zahlreiche weitere Hamburger Hafenprojekte:
- Hamburg New Kattwyk railbridge mit 205 Mio. Euro,
- Hamburg Anpassung Einfahrt Vorhafen mit 98 Mio. Euro,
- Hamburg Core Network, Adjustment of gateway offshore terminal (turning radius) Widening of gateway form the Norderelbe into the offshore terminal to meet the requirements of ship size development and to ensure safety and ease of ship traffic mit 98 Mio. Euro,
- Hamburg Transport links Burchardkai (planning and construction) / Renovation and redesign of road and rail connections of the container terminal Burchardkai (CTB) mit 104 Mio. Euro,
- Hamburg node, Extension of the rail infrastructure within the Hamburg node, strengthening of the rail connections to the sea port mit 545 Mio. Euro,
- Hamburg, A 7 Dreieck Hamburg-Nordwest – Schleswig-Holstein border / Upgrade (6 lanes); partly tunneling for noise protection mit 211 Mio. Euro,
- Hamburg A 7 Dreieck Hamburg-Nordwest – Hamburg-Stellingen / Upgrade (8 lanes); partly tunneling for noise protection mit 192 Mio. Euro.
Alle Hamburger Forderungsanmeldungen für den Juncker-Plan ergeben zusammen 2,1 Mrd Euro aus einem Junckers-Gesamtbudget von 300 Mrd. Euro, also rund 0,7%! Na, das ist doch für Hamburg mit seinen 1,8 Mio. Einwohner und seinem Bevölkerungsanteil von 0,35% an der Gesamt-EU-Bevölkerung mehr als angemessen. Warum sollte die Hamburger Devise für die Zusammenarbeit mit den norddeutschen Bundesländern, “immer das Doppelte beanspruchen, auch wenn einem nur die Hälfte zusteht” gegenüber der EU anders lauten?
Kommen wir zurück zu den o.a. Investitionsleitlinien des Kommissionspräsidenten Herrn Juncker. Die von Hamburg und dem Bund angeführten Investitionsprojekte klingen nicht danach, dass Sie auch nur eines der Kriterien erfüllen würden. Weder sind über die von Hamburg durch die Elbvertiefung getriebenenen Investitionsprojekte Förderungen von KMU, noch Arbeitsplätze insbesondere für die junge Generation erkennbar. Es fällt uns auch schwer, eine Investition in die Verkehrsinfrastruktur eines Industriegebietes zu erblicken, welches dann ja im Stadthafen mitten in der Hamburger Stadt liegen würde…
Wir gewinnen den Eindruck, dass man in Hamburg – in Analogie zur Auslegung der EU-Wasserrahmenrichtlinie anläßlich der jetzigen Elbvertiefung – wieder einmal mit ganz wenig Respekt, zudem egoistisch und in jedem Falle sehr flüchtig mit Europa umgegangen ist. Ob wir für wohl für dieses unsägliche Gebaren eine Erklärung des Senates erhalten werden?