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Szenarien zur Kosten-Nutzen-Struktur von Baggeraktivitäten

Nach der ersten Teil-Freigabe der Elbvertiefung am 03.05.2021 und der endgültigen Freigabe der Fahrrinne am 24.01.2022 haben sich die Versprechungen der Planer der Elbvertiefung nicht eingestellt. Eine nennenswerte Steigerung der Containerumschlagszahlen ist in 2021 trotz Vertiefung nicht eingetreten: der Umschlag des Jahres 2021 erreicht erneut nicht den Umschlag des Jahres 2006, dem Planungsbeginn der gerade abgeschlossenen Elbvertiefung.

Die Elbbaggerei kann dagegen leider auf erhebliche Steigerungszahlen zurückblicken. Die Bundeswasserstraßenverwaltung (WSV) konnte auf der Strecke von Wedel bis zur Nordsee das Baggervolumen erfolgreich von 13,4 Mio. m³ Sediment im Jahr 2020 auf  20,9  Mio. m³ in 2021 steigern, die HPA schaffte im Hafen und auf der Delegationsstrecke eine Steigerung von 9,3 Mio m³ in 2020 auf 14,6 Mio m³ in 2021. Die Kosten für diese Elbbaggerei sind noch nicht amtlich festgestellt: es ist aber davon auszugehen, das auch hier enorme Steigerungen stattgefunden haben und erstmalig auf der Elbe die Grenze von 200 Mio. € übersprungen wird.

Die jetzige Elbvertiefung ist mit den Baggerkosten und dem ausbleibenden Umschlag ein wirtschaftliches Desaster, die jährlichen Baggermengen sind zudem ein ökologisches Desaster für die Unterelbe. Über die Verklappung von belasteten Sedimenten in der Außenelbe, den Absichten Hamburgs unmittelbar am Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer vor Scharhörn zu verklappen, ist in der Hamburger Presse so gut wie nichts zu lesen. Unser rot-grüner Senat spricht nicht gern über den Hafen und die Baggerei und wenn, ist es alles sooo herrlich grün dort und viel Wasserstoff in der Luft… Ein Senator fand im September 2020 im Hamburg Journal, dass die Verklappung bei Scharhörn sogar Sexy sei.

Die Autoren Olaf Specht, Klaus Schroh und Tanja Schlampp zeigen in ihren “Szenarien zur Kosten-Nutzen-Struktur von Baggeraktivitäten im Hamburger Hafen und auf der Tideelbe , Schlickdesaster in Zahlen” die Zusammenhänge auf, die in Hamburg alle Politiker nicht zu interessieren scheinen. Wir von Hamburg für die Elbe fühlen uns beim Handeln des Senats an die drei Affen erinnert, die einfach nicht wahr haben wollen, dass die vermeintlich abgeschlossene Elbvertiefung niemals fertig werden wird.

SOS für die Tideelbe Kursänderung jetzt NEU

Im Januar 2021 haben verschiedene Fachleute der Niederelbe das Thesenpapier “SOS Tideelbe – Kursänderung jetzt” formuliert, das an diverse Parteien und Institutionen, die rund um das Thema Elbvertiefung involviert sind sowie an viele Medien versendet wurde. Zwischenzeitlich haben sich viele Befürchtungen der  Autoren zum  Sinn der Elbvertiefung bewahrheitet, so dass das  Thesenpapier eine Aktualisierung erhalten hat. Die Aktualisierung von “SOS für die Tideelbe – Kursänderung jetzt” können Sie sich jetzt runterladen.

Der ökologische Zustand der vertieften Tidelbe hat sich zunehmend verschlechtert. Das alljährliche Sauerstoffloch war in 2021 unvermindert zu beobachten. Jubelnachrichten der HHLA gab es hingegen nur noch in Sachen Eisenbahntransporten. Selbst der sonst daueroptimistische Karnevalsverein des Hamburger Hafens fokussierte sich fast nur noch auf die Hafenbahn. Weitere Themen waren in den vergangenen Monaten:

  • Die skurril anmutende unvollständige Fahrrinnenfreigabe: Am 03.05.2021 wurde auf dem Teufelsbrücker Anleger der Vollzug der “Fahrrinnenanpassung für 14,5m tiefgehende Containerschiffe” (Behördensprech für Elbvertiefung) gefeiert.  Der Einlauf der  400 Meter langen und 62 Meter breiten “Jacques Saadé” wurde beklatscht. Sie hatte dabei lediglich einen Tiefgang von 13,40 Meter, für den auch eine unvertiefte Elbe locker gereicht hätte. In der zugehörigen Pressemitteilung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes lesen wir dann, dass fertig nur halbfertig ist, “Mit der heutigen Umsetzung der ersten Stufe können Containerschiffe die durch die Fahrrinnenanpassung gewonnenen Tiefgangsverbesserungen zu etwa 50 Prozent ausnutzen. Je nach Größenklasse erhöhen sich die Tiefgänge um 0,3 Meter bis 0,9 Meter.” Auch das derzeit größte Containerschiff die “Ever Ace” hätte bei seinem Antrittsbesuch vor wenigen Tagen mit einem Tiefgang von 11,80 Meter auf einer unvertieften Elbe den Hamburger Hafen erreichen können.
  • Für diese  halb fertige Elbvertiefung wurde bislang die exorbitant große Menge von  rund 30 Mio. m³ Sand- und Schlick aus der Elbe gebaggert. Rund 12,4 Mio m³ Baggergut wurden angeblich ortsfest in die Unterwasserablagerungsfläche (UWA) Medemrinne verbaut. Diese erst Ende letzten Jahres fertig gestellte UWA sollte als “strombauliches Schlüsselprojekt” der Elbvertiefung die Tidedynamik durch Energiedissipation dämpfen und damit wesentlich zum Küstenschutz beitragen. In den Cuxhavener Nachrichten war nun am 13.09.2021 zu lesen (zum Lesen Bild bitte groß ziehen), dass sich dieses Schlüsselprojekt der UWA  binnen kürzester Zeit in Auflösung begeben hat und der UWA-Sand in die Fahrrinne getrieben ist.

Die sinnlose und umweltschädigende Elbvertiefung samt Fahrrinnenunterhaltung hat bislang Milliarden verschlungen. Das Geld hierfür scheint in der Politik extrem locker zu sitzen – es ist unverständlicherweise ein Prestigeprojekt, das mit vehementer Leidenschaft betrieben wird. Wenn man dagegen in Sachen Umwelt und Tideelbe nach Geesthacht zu den dortigen seit seit August 2019 von der Bundeswasserstraßenverwaltung zerstörten beidsseitigen Fischtreppen guckt und feststellt, dass ein Reparaturtermin immer noch nicht festgelegt worden ist, erahnt man die Leidenschaft mit der die Politik für die Umwelt der Tideelbe eintritt.

 

SOS für die Tideelbe – Kursänderung jetzt!

Hamburg und der Bund haben – auf der Grundlage höchstrichterlicher Rechtsprechung und erkennbar grob fehlerhafter Gefälligkeitsgutachten – begonnen, Hab und Gut von Menschen und die Lebensgrundlagen von Fauna in und Menschen an der Tideelbe schon heute, morgen und in großem Stil übermorgen zu vernichten oder zumindest massiv zu gefährden. Zwei wachsende Konflikte wurden fahrlässig ignoriert: Der Klimawandel mit Meeresspiegelanstieg erfordert Milliarden für zusätzlichen Küstenschutz. Die Elbvertiefung bewirkt das Gegenteil. Sie erhöht die Scheitelwasserstände zunehmender Sturmfluten und treibt die Baggerkosten bis 2040 wohl auf insgesamt über 3 Mrd. Die Absicht, Hamburgs Containerumschlag in 15 Jahren von 7,9 Mio. Standardcontainern (TEU) 2010 auf 25 Mio. 2025 etwa zu verdreifachen, ist durch neue Containerhäfen in Nord- und Südeuropa, d.h. völlig neue Wettbewerbsstrukturen, gescheitert. Denn in Wirklichkeit liegt der Containerumschlag seit langem unter 10 Mio. TEU p.a. – Zusätzlich droht Hamburg Unheil durch nicht mehr nachhaltig beherrschbare Mengen an Baggergut und die daraus erwachsende finanzielle Belastung. Wirtschaft und Politik der Tideelberegion geraten, durch Corona verschärft, unter Sanierungsdruck. Das zeigen der Schlicknotruf von HPA, die Umsatzeinbrüche und die Kooperationserwägungen von HHLA und Eurogate. Klares Umdenken ist ein Gebot der Stunde. Das belegen folgende Thesen in Kurzform (die ausführliche Begründung samt Quellen können Sie als Download bereits hier finden).

TEIL I  Hochwasserschutz und Sicherheit des Schiffsverkehrs zeigen große Defizite

These 1: Systematische Vorbereitung des Küstenschutzes auf Anstieg der Meeresspiegel wegen des Klimawandels wird durch Elbvertiefung (EV) ignoriert und beeinträchtigt.

These 2: Die laufende 9. Elbvertiefung verschärft die Hochwasser- und Sturmflutgefahr, obwohl diese entschärft werden müsste, was Gefälligkeitsgutachten verhindern.[1]

These 3: Grob fehlerhaftes Gutachten leugnet Gefährdung der Deiche durch Schiffswellen.[2]

These 4: Verkehr der Großcontainerschiffe auch nach Vertiefung nicht PIANC-konform sicher.[3]

TEIL II  Das Ökosystem Tideelbe ist bedroht durch Vernichtung von Lebensraum.

These 5: Zunahme des Tidal Pumping vernichtet das Ökosystem des Elbeästuars.

These 6:  Hamburgs Schlickdesaster darf nicht zu Lasten von Naturschutz und der Nachbarländer gelöst werden und dafür auch noch deren Zustimmung erhalten. Die Kosten der Unterhaltungsbaggerung für den Unterelbebereich und den Hamburger Hafen stiegen von 53 Mio. € 2011 – auf 150 Mio. € 2019[4], nach Vollendung der Elbvertiefung deutlich weiter steigend.

TEIL III  Deutsche Seehäfen ignorieren ihre Wettbewerbsnachteile und verpassen ihre Chancen.

These 7: Wirklichkeit widerlegt zu hohe Umschlagsziele und falsche Wirtschaftlichkeitsrechnung

2020: Bis zum 06.12. liefen 751 Containerschiffe ab 8.000 TEU Konstruktionsgröße Hamburg an (rd. 1.500 Passagen). Die ungenutzten Tiefgangsreserven betrugen durchschnittlich einlaufend 2,45 m, auslaufend 1,23 m. Ihre für die Elbe individuell zulässigen Maximaltiefgänge nutzten nur 75 Schiffe (10 % der anlaufenden Schiffe) und auch nur auslaufend (5 % aller Passagen), vollständig oder fast vollständig aus. Nur für sie hätte – auslaufend – die Elbvertiefung Vorteile geboten.

These 8: HWWI-Fazit: Hamburg sei von technologischem und ökonomischem Strukturwandel historisch zu nennenden Ausmaßes betroffen und brauche ein „Neues Hafenmodell“ [5]

These 9: Studien aus 2020 begründen, zur Überwindung seiner Verwundbarkeit benötigt Hamburgs Hafen unabhängig von partikularen Interessen mit hoher Priorität eine Kursänderung

  1. Die Integration der Hafenentwicklung in eine übergeordnete Strategie industrieller Transformation insbesondere in den Bereichen der digitalen und klimafreundlichen Industrie. (Vöpel)[6]
  2. Eine kluge Kooperation deutscher Containerhäfen zur Linderung deren Wettbewerbsdefizite (aus Lage-, Zeit- oder Kostennachteilen für Versender oder Empfänger) gegenüber Rotterdam und Antwerpen. Die ökologisch problematische Elbvertiefung erreiche das nicht. (Ordemann)[7]

These 10: An und in der Tideelbe ist für Menschen und Umwelt Schädliches zu unterlassen, d.h. die laufende Elbvertiefung ist auf ein sinnvolles Teilvorhaben, mit Verbreiterung der Begegnungsstrecken, zu begrenzen.

Die Argumente der Thesen 1-10 begründen unseren Appell an Bürger und Politiker der Tideelberegion und des Bundes, zu verhindern, dass ein sogenanntes „adaptives Sedimentmanagement“ als Folge einer unnötigen und unwirtschaftlichen Elbvertiefung unter dem Deckmantel von „Küstenschutz“ auf Kosten der Umwelt und der Bürger der Region durchgedrückt wird. Wir fordern für die Tideelbe mehr Aufmerksamkeit und verantwortungsvolle Beachtung der Zusage aus Absatz 358 des Entwurfs des neuen Grundsatzprogramms von Bündnis 90/Die Grünen: „Wertgeleitete Politik hat ihr Handeln konsequent auf … menschenrechts- und klimapolitisch kontraproduktive Wirkungen zu überprüfen und Schädliches zu unterlassen.“ Die akuten Schlickprobleme und die langfristigen Beeinträchtigungen und Kosten des Küstenschutzes, speziell der Deichsicherheit, erfordern, die Maßnahmen der 9. Elbvertiefung einzustellen und offensichtliche Fehlentwicklungen durch eine überfällige Kooperation deutscher Seehäfen zu überwinden.

Autoren:                                                                                                           Stade, 08.01.2021

Dr. Olaf Specht                                                                Ernst-Otto Schuldt

Exportkaufmann u. VWL-Prof. (FH) i.R.                  Nautiker, Wasserschutzpolizeibeamter i.R.

Mitunterzeichner: Axel Godenrath, Dipl.-Wirtschaftsingenieur, Bankkaufmann; Walter Rademacher, Wasserbauingenieur, Studiendirektor a.D.; Klaus Schroh, Kapitän, Schiffssicherheitsexperte für NABU Cuxhaven; Dirk Weber, Exportkaufmann

Diesen Text können Sie ->hier runterladen. Die Langversion dieses Appells mit Quellen und Erläuterungen zum Download finden Sie -> hier.

Quellenverzeichnis

[1] W. Rademacher, Experte für Wasserbau und Küstenschutz, in K. Hintz, E.-O. Schuldt, „WAHR SCHAU zur geplanten Elbvertiefung“, Norderstedt 2014, S. 86, 89 ff., 133 ff.

[2] ebenda, S. 133 ff.

[3] Klaus Schroh, Schifffahrtsexperte in „WAHR-SCHAU zur geplanten Elbvertiefung“, S. 38 -48, a.a.O.

[4] Auskunft WSV; Unterhaltungsbaggerung von Hamburger Hafen bis Elbmündung 06.12.2020

[5] H. Vöpel, HWWI, Die Zukunft des Hamburger Hafens, Determinanten, Trends und Optionen der Hafenentwicklung, Paper 123, 2020, S. 17

[6] ebenda, S.18

[7] Vgl. Prof. Dr. Frank Ordemann (Institut für Logistikmanagement – ILM), Deutsche Häfen verpassen Wettbewerbschancen – Studie zu den verpassten Chancen der deutschen Containerseehäfen, ihre Wettbewerbsfähigkeit in der Hamburg-Antwerpen-Range zu behaupten, Salzgitter 2020

Infos für Eilige

Unser Gastautor Dr. Olaf Specht hat für einen von Ihm zu haltenden Vortrag eine Zusammenfassung der Themen rund um die Elbvertiefung geschrieben.

Er nimmt dabei Bezug auf das vor Kurzem erschiene Buch “Wahr-Schau zur geplanten 9. Elbvertiefung” und will seinem Auditorium mit dieser Zusammenfassung einen fachlich fundierten Einstieg in das Thema bieten und damit die Neugier auf das gesamte Buch zu wecken.

Wir finden die Idee hervorragend und haben von Herrn Dr. Specht die Genehmigung erhalten, diese Zusammenfassung auch den Lesern unserer Seiten zur Verfügung zu stellen. Sie können sich die Zusammenfassung hier runterladen.

150.000 Jobs in Gefahr?

Die plaktativen Phrasen “150.000 Jobs in Gefahr!” oder “Elbvertiefung hochrentabel” kennen Sie auch: sie werden von den Befürwortern der Elbvertiefung in Diskussionen regelmäßig wie “Totschlags-Argumente” angeführt.

In einem Gastbeitrag nimmt Herr Dr. Olaf Specht in unserem Dossier Stellung. Er zeigt Ihnen auf, woher diese “Argumente” stammen, analysiert deren inhaltlichen Gehalt und gibt Ihnen mit seinem Beitrag “Elbvertiefung – Hochrentabel? – 150.000 Jobs in Gefahr?” die Informationen, mit denen Sie o.a. Diskussionen zum Leben erwecken können.